Wir werden alle älter. Die Kraft, Geschwindigkeit und Beweglichkeit nehmen ab und gesundheitliche Einschränkungen fordern ihren Tribut. Das Wissen hingegen nimmt stetig zu und daher kommt meine persönliche Erkenntnis über Katas.
Die Kata, ist in ihrer reinsten Essenz die Seele des Karate. Ich erinnere mich, als ich in Okinawa lebte, sagte man mir immer: „Karatetraining besteht zu 60% aus Kata-Training, 25% aus Makiwara-Training und zu 15% aus Kumite-Training“. Eine Formel die mir irgendwann nur noch latent in Erinnerung war.
Die Kata ist nicht nur eine Reihe von Bewegungen, die in einer Choreographie gelaufen wird; es ist vielmehr eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Eine Leinwand, auf der Geschichte, Philosophie und Ausübung der Kampfkunst festgehalten wird. Wie ein uraltes Manuskript, birgt jede Kata Geheimnisse, die nur Zeit, Hingabe und Demut enthüllen können.
Wenn ein Karateka am Anfang seiner Karate-Reise mit der Kata beginnt, nimmt er sie als eine Reihe von Techniken wahr. Jeder Schlag, Stoss, Block und die Körperhaltung werden mit fast mechanischem Ansatz ausgeführt. Als würden wir ein Buch lesen, das in einer anderen Sprache geschrieben ist, die uns fremd ist. Dieser Anfang ist jedoch wichtig, denn der Körper beginnt, obwohl wir es noch nicht verstehen, zu lernen.
Vor allem in der Wettkampfphase bleibt die Kata einfach eine Kata. Wir präsentieren diese den Schiedsrichtern bei Prüfungen und Vorführungen. Keiner macht sich tiefgründige Gedanken über die Essenz dieser Kunst.
Erst nach vielen Jahren des Wettkampfes und des Trainings erkennt man, Karate/Kata/Kumite ist keine Kunst der Aggression, sondern der Selbsterkenntnis und Kontrolle. Jede Technik hat einen defensiven Zweck, jede Haltung und Stellung ein Grund zum Sein.
In dieser Zeit der Veränderung stellen wir fest, dass eine Kata keine feste, sondern eine lebendige Sache ist. Über Jahrhunderte und Generationen wurde eine Kata immer wieder angepasst, um ihrer Zeit entsprechend, Körper und Verständnis widerzuspiegeln.
Dieser Prozess der Veränderung lehrt uns, dass Karate, wie das Leben, nicht statisch ist.
Eine weitere Herausforderung kommt hinzu, wenn wir versuchen, die Weite und Tiefe in einer einzigen Kata zu ergründen. Bunkai (nicht 0815 Bunkai), sondern die Suche nach dem echten Kampf. Spätestens hier erkennen wir, dass Kata nicht nur Technik lehrt, sondern Geduld, Demut und Akzeptanz. Wir werden nie alles erfahren aber genau dies ist unsere Herausforderung im Tun.
Im Alter verwandelt sich die Kata in einen Spiegel des Lebens. Jede Bewegung, tausende Male wiederholt, wird nicht mehr mit purer Kraft, sondern mit purer Absicht ausgeführt.
Was am Anfang physisch war, ist jetzt geistig und vielleicht auch etwas spirituell. Jetzt lehrt uns die Kata anmutig zu altern, unsere Grenzen zu akzeptieren und Schönheit im Einfachen zu finden.
Vielleicht im philosophischen Sinne:
Kata schliesst alles ein, weil es ein Spiegelbild des Lebens ist.
• Jede Technik hat einen Grund
• Jede Haltung eine Absicht
• Jede Pause eine Bedeutung
Es lehrt uns, uns gezielt zu bewegen, zu denken bevor wir handeln und die Einfachheit niemals als selbstverständlich anzusehen.
Letztendlich erinnert uns die Kata daran, dass es beim Karate nicht um Sieg oder Niederlage geht. Sondern um das Gleichgewicht zu finden; mit sich selbst und der Natur
Euer Rolf
© Beitrag von Rolf Oppenberg