Makiwara, der stille Meister

Mein Makiwara ist für mich der stille Meister. Er erklärt nichts und verharrt, Tag für Tag, still in meinem Dojo. Er ähnelt von weitem in seiner Form alten Parkuhren.
Ich trainiere seit vielen Jahren mit meinem Makiwara, aber seit rund einem Jahr tagtäglich mindestes eine Stunde manchmal auch zwei. Zukis aller Art, Beintechniken, Schlagtechniken, Stosstechniken, Empi, Uraken, Shuto, Hüftrotationen, mit Körperdrehungen, aus sehr kurzer Distanz und weiter Distanz, ich übe mein Maai (die richtige Distanz) uvm.
Die Möglichkeiten sind so vielfältig wie es verschiedenste Farben gibt. Wenn ich eine Technik auf ihre Wirksamkeit überprüfen möchte, so frage ich meinen Makiwara.

Er erklärt nichts, aber man versteht augenblicklich und unmissverständlich, wenn man etwas nicht korrekt ausführt. Er verlangt keine Gebühr für das Training, aber der Preis für die Lektion kann sehr schmerzhaft sein, sehr lange schmerzhaft. So bekommt das alte Sprichwort «lernen über Schmerz» wieder eine andere Bedeutung. Das soll hier nicht falsch verstanden werden, ich bin nicht für diese Art von Lernen. Hier geht es nicht darum durch Schmerz zu bestrafen wenn Du etwas falsch machst, sondern ich trainiere für mich alleine und gehe diese Art von Lernen freiwillig ein. Nur ich und mein Makiwara, wir sind gute Freunde und haben höchsten Respekt voreinander. Deshalb verneige ich mich vor und nach dem Training jedes Mal vor dem stillen Meister.

Mein Makiwara, mein schweigender Meister, zeigt mir unmissverständlich meine technischen Mängel, ungenügende Form oder eine nicht korrekte Geisteshaltung auf. Der stille Meister besitzt auch keine Stimme um Erfolge zu preisen. Wenn eine Technik korrekt und präzise war, war es einfach richtig, Man spürt es augenblicklich und das Gefühl dabei ist einfach «great». Mein Makiwara benötig heute rund 82 kg um nach rund 13 cm an der Wand aufzuschlagen. Dabei ist der Ton der erzeugt wird, ganz verschieden. Die Härte und Geschwindigkeit der Technik machen den Ton des Aufschlages aus. Auch ist der Ton bei links oder rechts ausgeführt anders. Das Makiwara selber bleibt jedoch immer ruhig und geduldig.

Das Makiwaratraining ist jedoch nicht einfach ein Schlag-, Stoss- und Hiebtraining, es ist vor allem und auch, ein mentales Training. Vor allem dann, wenn der stille Meister durch sein gnadenloses Feedback bestraft. Es dauert seine Zeit, bis man wieder mit voller Stärke und Geschwindigkeit den Meister erneut nach der korrekten Technik fragen kann. Nach einer schmerzhaften Antwort benötigt es viel mentale Stärke und Wille, um nach einer erneuten Antwort zu bitten.

Das Training mit dem Makiwara ist eine präzise, heikle Aufgabe, die an chirurgische Genauigkeit grenzt, die nach und nach, je länger man damit trainiert, alles Unnötige in der Bewegung, Technik und Form ausschliesst. Ich versuche bei jedem Schlag mein Sanchin, mein Kyo, Kime und meinen Geist auf den magischen Punkt des Ippon (den alles beendende Schlag) zu bringen, der sich am Makiwara entfaltet. Das Zusammenspiel der ganzen Biomechanik, Muskulatur, Geisteshaltung wird auf diesen einen Punkt trainiert.

Das Resultat davon ist, dass mein ganzes Karate, in Form, Stärke sowie mental, ein ganz anderes Niveau erreicht hat. Ein Körpertreffer hätte heute fatale Folgen und es gilt diese absolut zu vermeiden.

An dieser Stelle, bedanke ich mich bei meinem besten Freund und Begleiter, für seine wertvollen und unbezahlbaren Tipps und Ratschläge. Wenn Du das liest, der Espresso wartet im Dojo auf Dich. Smile!

Das Training mit dem Makiwara, erschafft eine Schatzkiste mit so vielen wertvollen Erfahrungen und Aha-Erlebnissen.
Weshalb nenne ich es Schatzkiste?  – Jeder soll und muss seine Schatzkiste selber füllen oder eben Wertloses so anpassen, dass es Wert bekommt.
Aber einen kleiner Tipp gebe ich Euch gerne noch mit: Wenn ihr im Dojo einen Makiwara habt und vor allem, wenn es nur einen einzigen gibt, so fragt Euren Sensei ob ihr ihn benützen dürft. Der stille Meister ist oft ein ganz persönlicher Trainingspartner Eures Senseis. Auf meinem steht ganz persönlich « Ganbaru Yama no ue» (gib niemals auf Oppenberg!).

Eurer Rolf

 


© Beitrag von Rolf Oppenberg